Emotion und Distanz

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Vor kurzem wurde ich mal wieder gebeten, mir ein paar Gedanken zur Umsetzung eines Films zu machen. Dabei ging es um die Vorstellung einer neuen Computersoftware. Es sollte kein richtiger Schulungs-Tutorial-Film sein, aber auch kein oberflächlicher Werbefilm. Jedenfalls sollte der Hersteller der Software im Interview auftauchen, und die Software an passenden Stellen eingeblendet werden.
Nun fragten sich Alle, ob es denn sinnvoll wäre einen "echten" Screencapture im Film zu zeigen oder doch lieber den Bildschirm abzufilmen. Es gab da diverse Meinungen zur technischen Qualität, Schärfe, Erkennbarkeit usw.
Was jedoch von vielen Beteiligten völlig ausser Acht gelassen wurde, war die Wirkung auf den Zuschauer - Stichwort: Wahrnehmungspsychologie.
Ich habe dazu jedenfalls eine klare Meinung!
Eine direkte Interviewsituation schafft immer Nähe zum Darsteller. Gerade wenn, wie in diesem Fall, die Handkamera ohne Stativ zum Einsatz kommt, hat man schon beinahe einen First-Person Eindruck. Man sitzt dem Erzähler direkt gegenüber und vergisst nahezu, dass man durch eine Kamera schaut. Die Distanz zum Interviewten ist extrem gering. Eine hochemotionale Situation - das direkte Gespräch mit einem Mitmenschen. Als hochsoziale Kreatur war der Mensch schon immer auf die Bindungen und Beziehungen zu seinen Mitmenschen angewiesen. Niemand würde in einer Gesprächssituation auf die Idee kommen, das Gegenüber zu ignorieren oder gar sich genervt abzuwenden. So etwas würde sofort die soziale Beziehung zum Gegenüber ruinieren.
Wenn nun der Gesprächspartner die Funktionen seiner neuen Software am Bildschirm präsentiert, so blickt der Zuschauer gemeinsam mit ihm auf den Computer, befindet sich aber immer noch in direkter Nähe zu seinem Gesprächspartner. Die emotionale Distanz ist weiter sehr gering. Bei der filmischen Umsetzung entpricht das also dem Abfilmen des Bildschirms mit der Kamera. Auch wenn das Bild nicht 100% technisch perfekt rüberkommt, auch wenn das typische Pixel-Moiree auftritt, kann man dennoch den Ausführungen des Erzählers folgen, und befindet sich emotional immer noch in direkter Nähe zum Erzähler.
Völlig anders wird es, wenn die Interviewsituation plötzlich durch ein technisch perfektes Screencapture unterschnitten wird.
Das Gehirn muss rasend schnell von einer sozial-emotionalen Gesprächssituation zu einer technisch-analytischen Lernsituation umschalten. Man verliert sofort jeglichen Bezug zum Erzähler - die emotionale Distanz steigt nahezu unendlich an. Plötzlich findet man sich in einer technisch komplexen Computerwelt wieder. Die typischen, grauen, eckigen Bildaufteilungen, Menüs, Icons, Dateidialoge, Fehlermeldungen etc.
Als Nachfahren von höhlenlebenden Jägern und Sammlern ist dem Menschen diese technische, emotionslose Welt höchst fremd und damit auch unangenehm. Wer z.B. Tutorial-Filme am PC konsumiert um daraus zu lernen, wird früher oder später eine Pause benötigen. Technische Vorgänge zu analysieren ist nunmal sehr anstrengend für das Gehirn. Wer hingegen mit seinen Freunden im Gespräch ist, kann dies teilweise über Tage hinweg sehr gut ertragen.
Und kommt dann in einem Film der Wechsel vom emotional nahen Interview zum technischen Screencast häufiger vor, so wird das Gehirn stark gefordert und ohne dass der Zuschauer es genau benennen kann, wird sich ein unwohles Gefühl einschleichen.
Ich empfehle daher konsequent auf den Screencast zu verzichten und lieber den Bildschirm mit der Kamera abzufilmen um eben die emotionale Nähe nicht zu unterbrechen. So wirkt der gesamte Film schlüssiger und spricht eben hauptsächlich die sozial-emotionale Seite des Zuschauers an. Der Film wird dadurch leichter konsumierbar und der Werbe-Effekt wird stärker.
Sollte es in einem Film hingegen um die reine Vermittlung technischer Vorgänge gehen(Tutorial), so ist es natürlich sinnvoll möglichst nur auf den Screencast zu setzen.
Generell sollte man sich also bereits vorher Gedanken machen, welchen Zweck der Film erzeugen soll. Geht es eher darum Lust zu machen auf ein innovatives Produkt, dann bitte Interview auf Augenhöhe und locker abgefilmter Bildschirm. Geht es darum technische Vorgänge deutlich zu machen, dann bitte gerne Screencast.