Erste Annäherung

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Ich wachte auf und fror. Das Thermometer zeigte 16,5 Grad an. Zum Glück lag die Fernbedienung in Reichweite, so dass ich den Fernseher einschaltete um mich abzulenken. Ich wollte einfach nicht aufstehen. Und warum auch? Ich konnte mich in dem versifften, kalten Bad nicht waschen, ich konnte mir in der versifften Küche kein Essen machen. Der Berg an Arbeit war sowieso nicht zu schaffen. Zusätzlich war heute Sonntag, so dass ich nicht mal im Baumarkt das Nötigste besorgen könnte. Und dann natürlich grauer Himmel, Regen, Kälte. Was für ein Scheiss! Kann mir bitte jemand dieses olle Haus abnehmen und mich davon erlösen? Ich hab mir tatsächlich zu viel zugemutet. Das werde ich nicht hinkriegen!
Was solls, wenn ich es nicht mache, macht es niemand!
Erstmal der allmorgendliche Gang in den Keller in dem das Ungetüm von Heizung schon wieder grollend und rumpelnd vor sich hin bollerte. Lauwarme Heizkörper, obwohl als Zieltemperatur 30 Grad angegeben sind? Hat man uns verschwiegen, dass die Heizung nicht funktioniert? Wurden wir betrogen? War es in früheren Zeiten vielleicht normal, dass die Heizung ein Haus nicht auf angenehme Temperaturen bringen kann? Also nochmal alle Ventile untersucht. Neben dem mittlerweile geöffneten Ventil zum Vorlauf gab es noch ein zweites Ventil für den Rücklauf. ...mal dran drehen... Häh? Das ist ja auch zu. Also so gut wie. Gerade mal eine halbe Umdrehung geöffnet. Also reiss ich das auch mal auf. Oha! Das Wasser zischt, die Leitung gluckert, das Ungetüm grollt! Flugs nach oben und Heizkörper checken. Erfolg! Die Dinger werden richtig warm! Und warum wurde uns dann gesagt, dass das Haus geheizt wurde?
Fazit: Beide für das Heizen notwendigen Ventile waren also geschlossen. So konnte hier garnicht geheizt werden. Und wie unsere Verkäuferin mitteilte, hatte sie keine Ahnung von Heizungen. Man kann also davon ausgehen, dass seit dem letzten Besuch eines Profis, anfang letzten Jahres hier nicht mehr geheizt wurde. Von der Lüftung ganz zu schweigen.
Immerhin ein erster Erfolg. Zeit fürs Frühstück. Und dann steht man da so in seiner versifften Küche, kaut sein Brot und schaut durchs Fenster in den eigenen verwucherten Garten. Der Schnee taut, der Regen fällt und doch bekommt man plötzlich so ein Gefühl der Zufriedenheit. Ist es am Ende vielleicht doch gar nicht so schlimm wie anfangs gedacht?
Frisch ans Werk!
Da ich die letzten Tage gefühlte zwanzig Mal im Keller war um Zwiesprache mit dem Ungetüm zu halten, wollte ich das Verließ jetzt mal ein wenig sauber machen. Viel Dreck gab es dort nicht, aber eben Staub und Spinnen samt Weben. Nichts, was der Staubsauger nicht in den Griff bekommt. Auch das Ungetüm wurde freundlich entstaubt und gereinigt. Und siehe da, an der Seite klemmt eine Tasche mit der Bedienungsanleitung! Geil! Hab ich schon erwähnt, dass sich mir das Haus als gutmütig darstellt? Wann immer ich ein Problem finde, finde ich bald darauf auch eine Lösung. Der Keller ist jetzt Spinnen- und Staubfrei und die Bande zwischen mir und der Heizung sind stärker als je zuvor.
Die Familie wartet und will einziehen. Das da hinten wird unser Übergangs-Schlafzimmer bis wir oben saniert haben. Bevor ich den ollen Stinke-Teppich rausreisse will ich lieber mal schnell die Wände überstreichen. Zwei Pott Farbe hatte ich vorrausschauend schon mitgebracht. Also mit dem Staubsauger erstmal alle vorherigen Bewohner und deren Weben entfernt. Dabei Blick nach oben und der nächste Schreck. Der Deckenputz bröckelt. Sieht nicht nach Nässe aus, aber irgendwie feucht muss es ja doch sein. Wenn man aber davon ausgeht, dass mindestens ein Jahr weder geheizt, noch gelüftet wurde, kann sowas direkt unter einem ungedämmten Flachdach schonmal vorkommen. Egal, die Decke ist sowieso weiss, also erstmal die Wände streichen. Und siehe da, es sieht schon nicht mehr so schlimm aus. Aber der lose Putz wickelt sich um die Farbrolle und paniert meine frischen Wände. Mist!
Der Putz muss runter. Was für eine Scheiss-Arbeit! Gut 12qm mit nem 5cm Spachtel abkratzen. Na Danke schön. Nach 2qm hab ich keinen Bock mehr.
Ich erforsche erstmal weiter mein Reich. Mal vorne angefangen. Die Türklingel geht nicht. Da ist zwar ein Trafo der fröhlich brummt, aber es gibt kein Signal. Das elektronische Klingelmodul mit ca. 50 bekannten Schlager-Melodien wird mit Batterien betrieben. Die haben sich aber mittlerweile aufgelöst und im Batteriefach gibt es nur noch einen grünen Klumpen. Also abschrauben und eine neue Klingel auf die Einkaufsliste gesetzt.
Meine Arbeit ruft. Ich muss mir ein Büro einrichten. Vorsorglich hatte ich ein paar Bretter und Tischbeine aus unserem Lagerraum mitgenommen. Mein Werkzeug ist mittlerweile auch vor Ort. Also zimmere ich einen Arbeitstisch und richte mich ein. Heute ist meine Steuererklärung fällig. Ich versuche also mein Handy mit dem Computer zu verbinden. Leider habe ich aber meinen WLAN-Stick bei Schwiegermutter vergessen. Es wird auch schon langsam wieder dunkel. Also Alles wieder abgebaut und ins Auto geladen. Das Haus wird mittlerweile wärmer. Ich lasse erstmal die 30 Grad Zieltemperatur eingestellt und reise ab um bei Schwiegermutter und Familie meine Steuererklärung zu machen. Für einen kurzen Moment verlasse ich nicht mehr "das" Haus sondern "mein" Haus...